Zersprungene Fensterscheiben, kaputte Steckdosen: Eine Sozialwohnung in Lengnau hat zahlreiche Mängel. Es ist kein Einzelfall im Block an der Beundenstrasse.

Erschienen am 28.01.2024 im «Bieler Tagblatt»

Im Oktober stieg bei der Familie Naziri* in Lengnau der Kochherd aus. Normalerweise steht in einem solchen Fall am nächsten Tag ein Handwerker vor der Tür. Die sechsköpfige Familie verbrachte jedoch den gesamten Winter, ohne warmes Essen zubereiten zu können. 

Ayla Naziri wohnt mit ihrem Mann und den vier Kindern in einer 3½-Zimmer-Wohnung in einem Block an der Beundenstrasse. Die Familie kommt aus Afghanistan, die Eltern haben einen F-Ausweis für vorläufig aufgenommene Flüchtlinge.

Kein Krümel liegt auf dem grossen Teppich im Wohnzimmer, die Kissen auf dem Sofa glänzen und sogar die Spielzeugautos sind in einem Kreis parkiert.

«Sie hat nicht extra für den Besuch aufgeräumt, das ist bei ihr immer so blitzblank», sagt Liselotte Köles einige Tage später bei einem Treffen. Köles kennt Ayla Naziri und ihre Familie seit rund sieben Jahren, seit sie in Lengnau sind. Damals hatte sie von der Kirchgemeinde aus Treffen für geflüchtete Frauen organisiert. Sie hilft den Frauen noch heute, Formulare zu übersetzen und auszufüllen.

Kühlschrank gefriert und Steckdose funkt

Als sie erfahren hat, dass Naziris Kochherd kaputt ist, hat sie das dem Schweizerischen Roten Kreuz (SRK) gemeldet. Die Organisation vermietet die Wohnung. Köles rief an, schrieb E-Mails, doch nichts passierte. Bis am 12. Januar endlich ein Mechaniker mit dem Ersatzteil kam.

Er brachte ein Ersatzteil von vielen, die die Wohnung eigentlich bräuchte. Diese passt nämlich nicht zu den aufgeräumten Zimmern und gepflegten Möbeln. Man sieht ihr an, dass in ihr bereits einige Menschen gelebt haben, ohne dass dazwischen renoviert wurde.

Fast alle Storenbänder sind gerissen. Den Kühlschrank schliessen Naziris mit einem Klebstreifen, damit die Türe einigermassen dicht ist. Das Gefrierfach hat keine Klappe mehr, sodass sich eine Eisschicht gebildet hat. Auch bei den Steckdosen im Kinderzimmer hat Ayla Naziri Klebstreifen zu Hilfe genommen, um sie abzukleben. Denn steckt sie einen Stecker ein, funkt es. Beim Lavabo funktionierte lange nur das Kaltwasser und die WC-Spülung tropft. Dann sind da noch die zerbrochene Aussenscheibe beim Badezimmerfenster und der Sprung im Salonfenster.

Die Ausstattung ist alt. Das sind auch die zwei zusammenhängenden Blöcke mit ihrer fleckigen Fassade. Die Klingelschilder im Eingangsbereich sind alle verschieden und auch mal mit einem Klebstreifen befestigt. Darauf stehen eritreische, somalische oder türkische Namen.

Namen von Menschen, die mit dem Mietrecht wahrscheinlich nicht sehr vertraut sind und Mühe haben, ihre Rechte einzufordern.

In diesem Block sind einige Wohnungen in einem schlechten Zustand.
Copyright: Matthias Käser / «Bieler Tagblatt»

Auch in anderen Wohnungen gibt es Mängel

13 Wohnungen in den beiden Blöcken werden vom SRK gemietet, das sie wiederum an Geflüchtete vermietet.

Da die Naziris bereits seit mehr als sieben Jahre hier leben, werden sie sozialhilferechtlich nicht mehr vom SRK unterstützt, sondern neu teilweise von der Einwohnergemeinde Lengnau. Die zuständige Sozialabteilung kommt für die Miete der Familie auf und überweist diese monatlich an das SRK. Wie die Sozialabteilung auf Anfrage schreibt, habe man das SRK mehrmals aufgefordert, die Mängel der Familienwohnung von der Verwaltung beheben zu lassen.

Das SRK ist seinerseits Mieterin: Es mietet die Wohnungen von einer Immobilienfirma mit Sitz in Biel. Diese hat gemäss dem SRK die Verwaltung wiederum an einen Dritten delegiert. Das SRK habe Kenntnis von den Mängeln in der Wohnung der Familie Naziri und habe sie jeweils direkt der Verwaltung weitergeleitet, mit der Bitte, sie zeitnah zu beheben, schreibt die Medienstelle des SRK Kanton Bern. Das hat aber offenbar wenig bewirkt.

Die Zustände in der Wohnung von Ayla Naziri scheinen auch kein Einzelfall zu sein: Weitere Bewohnerinnen und Bewohner der Blöcke am Beundenweg hätten Schäden gemeldet, so das SRK.

«Zusammenarbeit nicht immer optimal»

Gibt es in einer Wohnung einen Mangel, stellt sich die Frage, wer für die Reparatur zuständig ist. Wenn die Mieterinnen und Mieter einen Schaden selbst reparieren können, müssen sie sich darum kümmern. Auch liegt es an ihnen, kleinere Dinge wie einen Duschschlauch oder ein kaputtes Zahnputzglas zu ersetzen. Bis rund 150 Franken müssen Mieter gemäss dem Mieterverband selbst bezahlen. Dem SRK zufolge fällt aber abgesehen vom abgebrochenen Griff beim Gefrierfach keiner der Mängel in der Wohnung der Naziris in diese Kategorie des kleinen Unterhalts. «Bei den genannten Mängeln benötigt es unserer Meinung nach Fachpersonal», schreibt die Medienstelle. Folglich sei der Eigentümer zuständig.

Wieso dieser die Mängel nicht längst behoben hat, könne das SRK nicht beantworten. Was den defekten Kochherd angehe, so habe die Verwaltung mitgeteilt, dass sie über einen Monat auf das Ersatzteil warten musste. Komme hinzu, dass Handwerker im Dezember schwierig zu bekommen seien.

Das SRK schreibt, dass «die Zusammenarbeit mit der Verwaltung nicht immer optimal» laufe. Deshalb werde man künftig weniger Wohnungen in diesem Block mieten.

Die Immobilienfirma, der die Wohnungen gehören, hat wohl nur ihren juristischen Sitz in Biel. Der Geschäftsführer scheint in Zürich tätig zu sein und betreibt gemäss dem Schweizerischen Handelsamtsblatt in der Ost- und Zentralschweiz rund ein Dutzend Immobilienfirmen. Diese Redaktion versuchte ihn auf verschiedenen Wegen zu kontaktieren, um von ihm eine Stellungnahme einzuholen. Doch er war nicht erreichbar, versprochene Rückrufe blieben aus.**

Immerhin scheint jetzt ein wenig Bewegung in die Sache zu kommen: Das SRK wurde darüber informiert, dass am Montag ein Mitarbeiter der Verwaltung bei der Familie vorbeigehe und danach die «Instandstellungsarbeiten koordinieren» werde.

Derweil sucht Ayla Naziri für ihre Familie eine neue und grössere Wohnung. Ihre älteste Tochter beginnt im Sommer eine Lehre, dann solle sie ein eigenes Zimmer haben. Doch mit einem F-Ausweis sei die Wohnungssuche schwierig, sagt Naziri.

*Name von der Redaktion geändert

** Am 17.02.2024 hat die Verwaltung doch noch Stellung zu den Vorwürfen genommen.

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