Vor knapp 20 Jahren schenkte der Bieler Sammler Ernst Bühler seinen Garten dem Alterswohnheim Büttenberg. Heute stehen Bauprofile dort. Wird damit Bühlers Wille missachtet?
Erschienen am 17.07.2024 im «Bieler Tagblatt»
Durch die Thujahecke am Scheurenweg in Biel lässt sich ein verwilderter Garten erahnen. Eine mächtige Eiche breitet ihre Äste darüber aus. Barbara Trübner hat als Kind in diesem Garten gespielt. «Ich kannte jedes Gräsli», sagt sie. Ab elf Jahren wuchs sie bei ihren Pflegeeltern auf – bei ihrer Tante und bei Ernst Bühler, der den Garten angelegt hat.
Ein Park fürs Altersheim
Bühler war Lehrer und Vertreter der anthroposophischen Pädagogik. Ausserdem erlangte er eine gewisse Berühmtheit als Dozent für Mosaikkunst und Sammler. Die Werke stellte er in seinem Garten aus. Als er das Grundstück samt den Mosaiken 2005 dem Alterswohnheim Büttenberg schenkte, berichtete die Wochenzeitung «Biel-Bienne» darüber.
Zu diesem Zeitpunkt war Bühler 92 Jahre alt. «Wir sind beide alt. Deshalb gebe ich diesen Ort der Ruhe und des Friedens in die Hände alter Menschen», sagte Bühler im «Biel-Bienne». Die Bewohnerinnen und Bewohner des Alterswohnheims sollten den Garten fortan nutzen.
Diesen Wunsch hat er auch im Schenkungsvertrag vom 23. Juni 2005 festgehalten. Er verband die Schenkung mit der Auflage, dass der Garten und die sich darin befindlichen Mosaike «der Stiftung Alterswohnheim Büttenberg und anderen von ihr geladenen Gästen als ein besonderer Aufenthaltsort der Stille und der Begegnung von Natur und Kultur» und «nie etwas anderem, als einem Ort der Ruhe» dienen sollen.
Jetzt stehen da Bauprofile
Knapp 20 Jahre später verirrt sich keine Bewohnerin des Alterswohnheims mehr auf das Grundstück – sie würde Hausfriedensbruch begehen, wenn sie es beträte. Als Barbara Trübner vor einigen Monaten spontan das Quartier aufsuchte, in dem sie ihre Jugend verbracht hat, sah sie Bauprofile. Die Mosaike waren weg.
Zwar wirbt das Alterswohnheim Büttenberg auf der Website noch immer mit dem Grundstück: «Die grosse Eiche im nahen Park Friedensgarten spendet im Sommer kühlenden Schatten und lädt zum Verweilen ein», ist da zu lesen. Dem Grundbuch ist aber zu entnehmen, dass die 518 Quadratmeter grosse Parzelle den Besitzer gewechselt hat: Seit dem 11. November 2021 gehört sie einer Immobilienfirma.
Für Trübner ist klar: «Wenn Ernst Bühler das gewusst hätte, hätte er seinen Garten nie verschenkt.»
Der ehemalige Lehrer schien tatsächlich sehr an seinem «Friedensgarten» gehangen zu haben. Nachbarn berichten, dass er im hohen Alter regelmässig unter der Eiche geschlafen habe. Bis in den Herbst hinein, dick eingemummelt im Liegestuhl. «Das war für ihn ein Kraftort», sagt eine Nachbarin, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen will.

Copyright: Nik Egger / «Bieler Tagblatt»
Der deutsche Mosaikkünstler Robert Kaller besuchte seinen Lehrer Ernst Bühler letztmals im September 2006. Laut ihm waren damals 14 grosse Mosaike von Johannes Vielmetter und anderen Schülern von Ernst Bühler im Garten ausgestellt: «Es war ein Zentrum moderner europäischer Mosaikkunst», sagt Kaller, der inzwischen selbst eine Mosaikschule leitet.

Einige Monate später ging es Ernst Bühler gesundheitlich schlechter, und er zog ins Alterswohnheim Büttenberg, wo er am 29. August 2007 starb.
Als Kaller das Grundstück 2016 erneut aufsuchte, waren die Mosaike teils von Moos bewachsen und brüchig, wie er sagt. Sie seien nicht für den Aussenbereich gemacht gewesen, und mit Bühlers Tod habe es wohl niemanden mehr gegeben, der sich um sie kümmerte. Er habe dem Altersheim ein Angebot für eine Restaurierung und Konservierung gemacht, aber nichts mehr gehört.
Mosaike wurden abgeholt
Offenbar wurde Bühlers Garten eine Zeit lang tatsächlich von den Bewohnerinnen und Bewohnern des 250 Meter entfernt gelegenen Alterswohnheims genutzt. Die Nachbarin erzählt, dass regelmässig Gruppen auf ein Zvieri herkamen. Ein Mann im Elektrorollstuhl habe seinen Geburtstag im Garten gefeiert, und das Sommerfest für das Personal sei dort veranstaltet worden.
Doch diese Zeiten sind vorbei: Vor einigen Jahren seien Kran und Lastwagen vorgefahren, um die Mosaike wegzubringen, sagt die Nachbarin. Und nun wurde die Parzelle also verkauft.
Ein Geschenk verkaufen – darf man das?

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Schenkungen sind Verträge mit einem Missverhältnis
Frédéric Krauskopf ist Professor für Privatrecht an der Universität Bern. Er könne keine rechtliche Expertise zum konkreten Fall abgeben, stellt er klar. Dafür müsste er sämtliche Unterlagen studieren. Aber er kann einordnen.

Krauskopf erklärt, was eine Schenkung ist: ein Vertrag, bei dem ein Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung vorliegt, sprich, jemand leistet etwas, ohne dafür eine Gegenleistung zu verlangen.
In solchen Konstellationen stellt sich die Frage, ob der Vertrag missbräuchlich ist. Ob jemand die Schwäche einer Person ausnutzt, um sie zum Vertragsabschluss zu verleiten. Wenn ein über 90-jähriger Mensch seinen Garten dem Altersheim verschenkt, in dem er später stirbt, kann ein Verdacht aufkommen: Hat das Altersheim etwa einen altersschwachen Mann ausgenutzt, um sich zu bereichern? Im Fall von Ernst Bühler gibt es allerdings keinen Hinweis darauf, dass er nicht urteilsfähig war oder dass das Altersheim eine mögliche Notlage oder Schwäche von ihm ausgenutzt hätte.
Auch gibt es keinen Anlass anzunehmen, dass formell etwas nicht in Ordnung war: Der Schenkungsvertrag wurde von einem Notar beglaubigt und die neue Eigentümerin im Grundbuch eingetragen.
Nichts kann für immer erhalten werden
Doch Bühler wollte den Garten nicht einfach nur schenken – er wollte ihn bewahren. «Nie» solle er etwas anderem dienen als einem Ort der Ruhe, steht im Vertrag. Bloss: So etwas könne ein Schenker nicht verlangen, erklärt Krauskopf. Zwar schreibt das Gesetz nicht vor, wie lange eine Auflage, die mit der Schenkung verbunden ist, gilt. In der Rechtsprechung und Literatur wird aber davon ausgegangen, dass der Anspruch auf Vollziehung auf maximal 100 Jahre beschränkt sei. Ob Ernst Bühler dies wusste?
Der Notar, der damals den Schenkungsvertrag beurkundete, schreibt auf Anfrage, dass er keine Fragen dazu beantworten könne.
Eigentlich ist es selbsterklärend, dass eine Eiche nicht für immer erhalten werden kann. Ebenso wenig wie ein Mosaik. Doch damit, dass der Garten bereits 16 Jahre nach Vollzug der Schenkung verkauft werden sollte, musste Bühler wohl nicht rechnen.

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Es wird indes kein Gericht darüber befinden, ob die Stiftung Alterswohnheim Büttenberg mit dem Verkauf des Grundstücks tatsächlich gegen die Auflagen verstossen hat. Denn wo kein Kläger ist, ist kein Verfahren. Der verstorbene Ernst Bühler kann nicht mehr auf die Einhaltung seiner Wünsche pochen und auch die Nachkommen haben keine Rechtsmittel ergriffen.
Rückgängig liesse sich der Verlag laut Krauskopf ohnehin nicht mehr machen. Der Jurist erklärt, dass die Auflagen nicht auf den neuen Eigentümer übergegangen sind. Gewisse Rechte könne man im Grundbuch eintragen lassen, sagt Krauskopf. Ein Vorkaufsrecht, zum Beispiel. Aber bei Schenkungsauflagen gibt es diese Möglichkeit nicht. Tatsächlich teilt das Grundbuchamt des Kantons Bern auf Anfrage mit, dass auf dem Grundbuchblatt der Parzelle am Scheurenweg in Biel keine Vormerkungen verzeichnet seien.

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Alterswohnheim will sich nicht zur Angelegenheit äussern
Die Immobilienfirma, die Bühlers Garten gekauft hat, hat dessen Auflagen folglich nicht übernommen. Einer klageberechtigten Person bliebe laut Krauskopf nur eine Möglichkeit – von der Stiftung Schadenersatz zu verlangen.
Allerdings gestalte sich eine solche Forderung schwierig. Anders als bei einem kaputten Velo, lässt sich der Schaden von einem unerfüllten Anliegen nur schwer beziffern. «Schliesslich wirkt es sich nicht auf das Vermögen des Schenkers aus, wenn ein verschenktes Grundstück anders genutzt wird als gewünscht», so Krauskopf.
Wie bei einer Erbschaft zeige sich bei einer Schenkung, dass man die Zukunft nur sehr begrenzt gestalten könne. «Man muss sich bewusst sein, dass die eigene Vergänglichkeit beim Vermögenswert nicht haltmacht», sagt der Jurist.
Situationen und Bedürfnisse verändern sich. Es gibt eine Vielzahl von möglichen Gründen, welche die Stiftung Alterswohnheim Büttenberg dazu bewogen haben könnten, das Grundstück am Scheurenweg zu verkaufen. Vielleicht war der Weg für die Bewohnenden dorthin doch zu weit. Vielleicht war der Unterhalt zu aufwendig. Antworten darauf gibt es keine: Der Stiftungsratspräsident liess einen ausführlichen Fragenkatalog unbeantwortet und wollte sich auch am Telefon nicht zur Angelegenheit und zum Verbleib der Mosaike äussern.
Dieser Artikel beantwortet zehn Fragen zum Thema Schenkungen.
Kommentare
Ich bin am Scheurenweg aufgewachsen und habe Herrn Bühler sowohl auch Hernn Bigler bestens gekannt ,da ich im Geisryedschulhaus 9Jahre zur Schule ging und das Privileg hatten all deren antroposophischen Wissen und Kunst vermittelt zu bekommen.Es ist traurig dass man solche Zeitzeugen einfach in Vergessenheit geraten lässt und schlussendlich in Profit umwandeln will.