In der Bieler Tissot Arena haben evangelikale Prediger zu ihrem Anhang gesprochen. Regierungsrat Pierre Alain Schnegg (SVP) hielt die Eröffnungsrede.
Erschienen am 05.06.2023 im «Bieler Tagblatt»
Die Frau mit dem weissen Tuch über der Schulter ist während des Abends immer wieder hingekniet, senkte die Stirn auf den Boden der Tissot Arena oder streckte ihre Arme in die Höhe. Jetzt liegt sie. Ihr Körper zuckt und windet sich. Doch die Menschen um sie herum erschrecken kaum. Denn kurz zuvor gingen Dutzende zu Boden – als Prediger Nathan Morris sie berührte, um sie zu segnen.

Copyright: David Porfirio / «Bieler Tagblatt»

Morris kam aus den USA nach Biel, um das Evangelium zu verbreiten, den Glauben von Christen wiederzubeleben oder denjenigen von Ungläubigen zu entfachen. Hinter dieser Evangelisation steckt John E. Sagoe, der 2003 in Biel die New International Church gegründet und nun in der Tissot Arena das sogenannte Push-Weekend organisiert hat. Es wirbt mit dem Slogan «Zeit für Wunder» und Sagoe hoffte auf 6500 Teilnehmerinnen und Teilnehmer.
Das war etwas hoch gegriffen: Am Samstagabend sind schätzungsweise 1000 Personen da. Sie wippen und hüpfen im Takt der Popmusik und singen mit: «Du bist der, der meine Seele liebt.»

Ein Paar ist am Freitag aus Österreich angereist. Sie habe Apostel Sagoe einmal in ihrer Heimat gesehen und sei schwer beeindruckt von ihm, sagt die Frau. Es sei eine grosse Bereicherung, die unterschiedlichen Redner am Push-Weekend zu erleben: «Man kann sein persönliches Mosaik zusammensetzen», sagt die 60-Jährige, die eine Ausbildung macht, um durch Jesus zu heilen.
Die Redner verstehen es, Momente zu schaffen, die die Masse mitreissen. Manchmal gehen die Worte in eine Fantasiesprache über – «Rekatarabababa» – ein Trommelwirbel ertönt. Im Publikum ertönen Yes-Rufe.

Professionell von A bis Z
Er habe Gottes Stimme gehört, sagt Sagoe: «Hier drin ist jemand, der nicht mehr in Dunkelheit leben will, er soll nach vorne kommen.» Erst passiert nichts. Dann gehen zwei in Richtung Bühne. Die Leute klatschen. Immer mehr drängt es nach vorne. Eine Frau im kleinen Schwarzen, ein Mann im Rollstuhl. Hinter ihnen gehen Personen in weissen Westen – um die Menschen aufzufangen, falls sie bei der Berührung mit dem Heiligen Geist umfallen. Der Anlass ist durchorganisiert. Das Push-Weekend hat eine Website, hat Twitter, Facebook, Instagram. Auf der Website werben die Organisatoren um Influencer, die «das Königreich Gottes verbreiten» sollen.
Es ist ihnen gelungen, zahlreiche freiwillige Helferinnen und Helfer zu finden. So etwa den 18-jährigen Bieler, der normalerweise eine tamilische Kirche besucht und von einem Kollegen rekrutiert wurde, der bei der New International Church ist. Er erlebe so etwas zum ersten Mal, sagt der junge Mann. «Es ist überwältigend, zu sehen, was passiert, wenn der Gottesmann hier ist.»
Im Eingangsbereich der Tissot Arena ist ein Stand, der für ein Training wirbt, bei dem sich Evangelisten ausbilden lassen können, um Grossanlässe durchzuführen. Auf der Bühne stehen Profimusiker und prominente Pastoren. Die Bibelstellen, die sie vorlesen, werden auf Leinwände projiziert. Bei der deutschen Übersetzung sind die Buchstaben zwar am Rand abgeschnitten, aber sonst ist der Auftritt makellos.
Die Sache mit der Rolex
Das alles muss eine Menge kosten. Die Arena ist nicht einmal halb voll und viele Menschen sind mit einem kostenlosen Ticket hier. Auf der Event-Website bitten die Organisatoren um Unterstützung: «Ob einmalig oder monatlich; deine Investition ins Königreich Gottes wird unzählige Seelen zu Gott hinführen und deren Leben ein für allemal verändern.» Visionsträger mögen 1000 Franken «säen».
Während der Veranstaltung bittet Sagoe um Spenden: Ein QR-Code auf den Stuhllehnen und den Bildschirmen kann gescannt werden, ein Behälter geht um.

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Auch bei einem Redner dreht sich vieles ums Geld. Der US-Fernsehprediger Jesse Duplantis sorgte in der Vergangenheit für Schlagzeilen, weil er sein Millionenpublikum aufforderte, ihm Geld für einen vierten Privatjet zu spenden. Duplantis predigt das Evangelium des Wohlstands. Wer glaube, dem schenke Gott Reichtum und einen guten Job. Wenn er spricht, tönt das etwa so: «Wie viele Franken hast du schon verloren, weil du Gott nicht die grösste Note gegeben hast?»
Duplantis erzählt von seinen Rolex-Uhren, um zu sagen, dass er dadurch eine Beziehung zur Schweiz eingegangen sei, dass es die Firma nur gebe, weil Leute wie er ihre Produkte kaufen. Der Prediger schreit die banale Aussage heraus, als handle es sich um ein Erweckungserlebnis.

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Dann betet Duplantis für die Anwesenden: «Herr, du hast mich zu einem Multimillionär gemacht, ich will, dass du dies allen Versammelten hier ermöglichst.»
Der Muskel-Bademeister
Ausser über Geld spricht Jesse Duplantis gern darüber, wie hübsch und zurückhaltend seine Frau mit 17 Jahren war, als sie sich kennenlernten. Und darüber, welch durchtrainierten Körper er damals als Bademeister hatte, sodass die Frauen ihm nicht widerstehen konnten. Er imitiert seinen Kollegen, der eigentlich zuerst ein Auge auf die hübsche 17-Jährige geworfen hatte, aber so schüchtern war, dass er nur stammelte. Und er führt den Anwesenden vor, wie er noch heute mit 70 Jahren seine Brustmuskeln springen lassen kann. All dies, um danach zu sagen: Seht ihr, während ihr gelacht habt, habt ihr eure Sorgen vergessen; wenn ihr mit Jesus lebt, kennt ihr keinen anderen Zustand mehr.
Tatsächlich holt er die Leute ab. Eine 24-Jährige findet Jesse Duplantis «mega sympathisch und seine direkte Art erfrischend».
Regierungsrat Schnegg hält eine Rede
An diesem Abend stehen – bis auf die Sängerinnen – nur Männer auf der Bühne. Nach Jesse Duplantis tritt der Amerikaner Nathan Morris auf, der anders als Duplantis keinen eigenen Übersetzer mitgenommen hat. An seiner Seite steht EDU-Grossrat Samuel Kullmann. Später wird er auf Facebook seiner Freude darüber Ausdruck verleihen, dass er für «Evangelist Nathan Morris sowie Ben Fitzgerald dieses Wochenende dolmetschen durfte». Kullmann folgt Morris auf Schritt und Tritt. Wenn Morris hinkniet, kniet Kullmann hin. Wenn Morris die Arme ausstreckt, streckt Kullmann die Arme aus.

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Als der Kanton Bern vor einem Jahr beschloss, Umpolungstherapien für Homosexuelle zu verbieten, sprach sich Kullmann dagegen aus, wie SRF berichtete. Ein Verbot wäre ein Eingriff in die Freiheit. Er wurde haushoch überstimmt und mit ihm Gesundheitsdirektor Pierre Alain Schnegg (SVP), der das Parlament vergeblich bat, auf eine nationale Regelung zu warten.
Ebenso wie Kullmann fühlt sich offenbar auch Regierungsrat Schnegg wohl an evangelikalischen Grossanlässen: Er hielt am Freitagabend die Eröffnungsrede des Push-Weekends. Überraschenderweise, wie die Presseverantwortliche sagt. Wenig erfreut darüber dürfte der ehemalige Grossrat und Bieler Mitte-Stadtrat Mohamed Hamdaoui sein. Er kritisierte in einem Facebook-Beitrag, dass amerikanische, ghanaische, Schweizer und deutsche Prediger Wunder versprechen an einem Ort, der zum Teil mit öffentlichen Geldern finanziert wird. Hamdaoui empörte sich darüber, dass die Veranstalter mit der Heilung von Krebs- und MS-Patienten werben.
Die Wunder
Auffällig viele Leute im Rollstuhl sind in die Tissot Arena gekommen. Organisator John E. Sagoe steht auf der Bühne und fragt nach jemandem, der etwas am rechten Auge hat, er könne geheilt werden.

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Dann sucht er eine Person, die an Epilepsie leidet. Schliesslich kommen die Menschen im Rollstuhl an die Reihe: «Versucht etwas zu tun, was ihr vorher nicht konntet», ruft Sagoe.

Derweil fallen die Menschen zu Boden, die von Nathan Morris gesegnet werden. Eine 28-jährige Frau sagt später, dass ihr das nicht passiere. Bei ihr heile Jesus auf eine sanfte Weise. Wunder habe sie aber viele erlebt, sie schreibe ihre Erlebnisse auf. 30 Seiten würden ihre Aufzeichnungen füllen. Durch Gebete sei sie von Sehstörungen befreit worden und Jesus habe ihr Lungenproblem geheilt. «Ich spürte in der Nacht einen Wind und dachte, das Fenster sei offen – aber es war Jesus, der kam, und ich konnte wieder richtig atmen.»
An diesem Abend habe sie selbst zwar kein Wunder erlebt, aber sie spüre, dass der Heilige Geist hier ist, sagt sie.
Geht es nach Sagoe, sind am Push-Weekend sehr wohl Wunder geschehen. Am Vortag sei eine Frau von einem Tinnitus befreit worden, an dem sie seit zehn Jahren litt, und Gott habe einen depressiven Mann geheilt. Dann erzählt der Prediger noch, dass am Freitagnachmittag einer gekommen sei, der 20 000 Franken Schulden habe. Sagoe behauptet zwar nicht, dass er das Geld aufgetrieben habe. Aber: «Jetzt macht er sich keine Sorgen mehr, denn er weiss, dass Gott bei ihm ist.»