Helio Cardoso Correia ist einer von 50 Erntehelfern auf einem Gemüsehof in Kerzers. Wie die meisten seiner Kollegen wollte er Geld verdienen und wieder gehen. Aber es kam anders.

Erschienen am 06.05.2022 im «Bieler Tagblatt»

In einem Innenhof in Kerzers sitzen rund 20 Männer zwischen 20 und 60 Jahren um einen Tisch, auf dem Chips, Bier, Biskuits und Kuchen stehen. Einzelne Frauen sind auch da. Plötzlich zerplatzt eine Mehltüte über dem Kopf eines jungen Mannes. Ein gedrungener Mann in gelber Jacke haut ein Ei obendrauf. Weitere Eier folgen.

Der junge Erntehelfer kehrt am nächsten Tag nach Portugal zurück und lässt das Abschiedsritual ohne grosse Regungen über sich ergehen.

2015 haben sich die Bauernfamilien Moser und Tschachtli in Kerzers zu einer Betriebsgemeinschaft zusammengeschlossen. Das Gemüse-ab-Hof-Team hat zwei Treibhäuser, dazu Freiland. Sie beschäftigen insgesamt 50 Erntehelfer und Erntehelferinnen. Manche von ihnen sind das ganze Jahr über da, andere für acht oder neun Monate. «Gemüseanbau ist viel Handarbeit, deshalb brauchen wir viele Leute. Ansonsten ist in der Landwirtschaft ja immer mehr mechanisiert», sagt Gemüseproduzent Michael Moser. Sein Vater führt in vierter Generation einen Bauernbetrieb in Kerzers. Moser erzählt, wie zuerst nur ein Erntehelfer kam. Dann habe man diesen gefragt, ob er jemanden kenne, der auch kommen könnte, und so wurden es immer mehr.

Jemand, der Traktor fahren kann

«Ich bin wegen meines Schwagers zu dieser Arbeit gekommen», sagt Helio Cardoso Correia, der vor der Feier im Innenhof für das Interview im Büro sitzt. Noch ist es zu heiss für die gelbe Jacke. Er wird sie erst später tragen, als er auf dem Kopf seines Kollegen Eier zerschlägt. Wenn er die Arme verschränkt, spannt sich das T-Shirt über seinen kräftigen Oberarmen. «Mein Schwager sagte, dass die Firma jemanden brauche, der Traktor fahren kann.» Correia war 23 Jahre alt, frisch verheiratet und verdiente in Portugal nicht gut. 2003 kam er nach Kerzers.

«Er ist sehr gut im Umgang mit Maschinen und Motoren», sagt Michael Moser. Traktorfahren ist denn auch das, was Correia am meisten Spass macht auf der Arbeit.

Als er sich an den Tisch setzt, ist er noch etwas ausser Atem, sein Gesicht glänzt. An diesem Tag hat er um sieben Uhr morgens mit der Arbeit begonnen und war um halb sechs Uhr abends fertig. Auf Michael Mosers Biohof steht gerade das Anpflanzen an. Die Helferinnen und Helfer pflanzen Broccoli, jäten und pflegen die Kulturen. In den Gewächshäusern wird der letzte Salat geschnitten, bevor die Gurken gepflanzt werden.

Broccoli, Lauch, Kopfsalat, Kartoffeln, Tomaten im Gewächshaus, zählt Correia Kulturen auf. Ausser Endivien und Auberginen isst er alles gerne, was er anpflanzt. «Jetzt kommen zwei Monate Spargeln», sagt er. Eigentlich sei die Spargelernte gar nicht so aufwendig: Schneiden, Harassen füllen, reinigen, schneiden, sortieren und fertig. Als Correia «sortieren» sagt, macht er mit den Händen flinke Bewegungen – «wenn man das jeden Tag macht, geht das ganz schnell».

Helio Cardoso Correia sortiert Spargeln.
Copyright: Rabih Haj-Hassan / «Bieler Tagblatt»

Bei jedem Wetter raus

Das Hauptprodukt der drei Betriebe ist aber Nüsslisalat. Den gibt es im Sommer wie im Winter. Ausgerechnet mit diesem arbeitet Correia am wenigsten gern: «Da kniet man den ganzen Tag, und wenn er bereits angefault ist, muss man die gelben Blätter rausschneiden.» Er erzählt, wie anstrengend die Arbeit sein kann, wenn man bei jedem Wetter raus muss oder wenn es im Sommer im Gewächshaus schon einmal gegen 40 Grad heiss wird.

Auch Gründe für Überstunden gibt es viele. Gemüsebau ist wetterabhängig und das Wetter nimmt keine Rücksicht auf Feiertage, wie Moser lapidar sagt. Dann müsse der Nüssler halt einfach geschnitten werden, bevor er zu gross ist. Correia erzählt, dass sie im Sommer manchmal um halb sechs mit der Arbeit beginnen, um den Salat zu schneiden, bevor die Sonne ihn erschlaffen lässt. Dann arbeiten er und seine Kolleginnen und Kollegen mehr als zehn Stunden. Er fügt an, dass es für die Chefs aber nie ein Problem sei, wenn jemand früher aufhören müsse. Dennoch: «Man arbeitet viel, oft ist es stressig und der Lohn ist nicht so gut.»

Copyright: Rabih Haj-Hassan / «Bieler Tagblatt»

Michael Moser erklärt, dass es verschiedene Lohnstufen gebe. Er betont, dass die Betriebsgemeinschaft Überstunden direkt auszahle und Minusstunden nicht abziehe. Der Betrieb suche Unterkünfte und kümmere sich um die Aufenthaltsbewilligung der Arbeitskräfte. Der Minimallohn liege bei etwas mehr als 3300 Franken pro Monat für eine 52,2-Stunden-Woche. Das ergibt einen Stundenlohn von knapp 16 Franken. Ein Gruppenchef verdiene mindestens 4000.

Ein Chef ist auch Helio Correia. Während des Gesprächs mit ihm kommt Ursina Remund herein, die für die Administration der Betriebe und das Marketing des Hofladens zuständig ist, und sagt: «Du hast schon gesagt, dass du für ein riesiges Team verantwortlich bist?» Und dann: «Ich dachte mir schon, dass Helio zu bescheiden ist und das nicht erzählt.»

Correia murmelt verlegen etwas von nervös. Tatsächlich ist er der oberste Personalchef und von allen Helferinnen und Helfern am längsten dabei. Es sei wichtig, so jemanden wie ihn zu haben, sagt Moser. Correia zerre den Karren: «Bei ihm gibt es grundsätzlich kein Nein – es muss immer irgendwie gehen und dafür respektieren ihn die Leute.» Für Correia ist der Gemüsebau nicht einfach irgendeine Arbeit. Er erzählt, wie er sich über eine gute Ernte freut: Wenn er Nüsslisalat schneide, nach hinten schaue und sehe, dass er und seine Kollegen viele Harassen gefüllt haben, sei er zufrieden. Der 42-Jährige kramt sein Handy hervor und zeigt Bilder von einer Walze und Arbeiten im Gewächshaus. Er mache viele Fotos, sagt er.

Mazedonier lernen Portugiesisch

Das Handy braucht er noch ein anderes Mal – um ein Wort zu übersetzen, das ihm nicht in den Sinn kommt. Correia spricht gebrochen Deutsch und hat manchmal Mühe, die Wörter zu artikulieren. Es strengt ihn an, in dieser Fremdsprache Fragen zu beantworten. «Das mit dem Deutsch ist etwas schwierig», sagt er denn auch und reibt die Stirn.

«Eigentlich sollte ich einen Deutschkurs machen.»

Helio Cardoso Correia

Da auf dem Betrieb fast nur Portugiesen arbeiten, spricht er nur mit Moser manchmal Deutsch. Und dieser spricht eigentlich auch gut Portugiesisch. Sogar die Mazedonierinnen und Mazedonier, die auf dem Hof arbeiten, lernen laut Correia die Sprache, um sich mit den vielen Portugiesen zu verständigen.

Langjährige Mitarbeiter wie Correia sind selten. Moser zufolge gibt es beim Gemüseanbau eine hohe Fluktuation. Jeder könne die Arbeit schnell lernen und sich ein Standbein aufbauen. «Oft sind wir das Eintrittstor in die Schweizer Wirtschaft.» Sie würden natürlich versuchen, die guten Leute zu fördern, aber sie könnten nicht allen eine Perspektive geben.

Correia lebt nun mit seiner Frau seit 19 Jahren in Kerzers. Sie sind Eltern von drei Mädchen: Die Älteste ist 16 Jahre alt, die Mittlere sieben und die Jüngste 15 Monate. Der Sonntag gehöre der Familie. Trotz der anstrengenden Arbeit ist Helio Correia auch in der Freizeit viel im Freien, macht Velotouren – «mit Kindern muss man raus».

Eigentlich wollte Correia gar nie so lange in der Schweiz bleiben. Sein Plan war es, nach fünf, sechs Jahren nach Portugal zurückzukehren, wo seine Eltern noch leben. «Doch dann bin ich immer wieder ein weiteres Jahr geblieben.» Auch weil er nicht genügend Geld gehabt habe, um sich in seiner Heimat eine Existenz aufzubauen.

Jetzt wäre der Portugiese eigentlich bereit für seine Rückkehr, aber nun sind es seine Kinder, die ihn zurückhalten. Seine älteste Tochter hat eine vierjährige Lehre begonnen und ihm gesagt, dass sie sich ein Studio oder eine Wohngemeinschaft suche, wenn er nach Portugal zurückgehen wolle. Für Correia keine Option: Er wolle nicht, dass ihm seine Kinder in 20 Jahren vorwerfen, dass sie wegen ihm nicht das Leben hatten, das sie in der Schweiz gehabt hätten. In vier Jahren, wenn die Lehre der ältesten fertig sei, wolle dann bestimmt die zweitälteste Tochter nicht weg, befürchtet er. «Was will man machen? Dann bleibe ich halt, vielleicht komme ich nicht mehr weg.»

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