Im Park des Von-Rütte-Guts hat eine unbekannte Person Efeustränge gekappt – wohl in der Annahme, die Kletterpflanze schade den Bäumen. Diese Vorstellung ist falsch und die Handlung verboten.
Erschienen am 12.03.2021 im «Bieler Tagblatt»
Ein gutes Dutzend Jahresringe zählt Beat Oppliger, der beim Von-Rütte-Gut in Sutz-Lattrigen für die Parkpflege zuständig ist, an einer Efeuranke. Bei einer anderen sind es rund zwanzig. Der gemeine Efeu kann ein Alter von 500 und möglicherweise sogar bis zu 1000 Jahren erreichen.
Im Park des Von-Rütte-Guts sind die Jahresringe sichtbar, weil die Stränge auf Hüfthöhe gekappt wurden. Es sei ein sauberer Schnitt, wohl mit einer Handsäge ausgeübt, sagt Oppliger. Die Bäume sind nicht beschädigt. Da habe eine Fachperson Hand angelegt. Nur ist diese keineswegs dazu berechtigt.

Noch ist das Blattwerk des Efeus, der sich um eine 80- bis 100-jährige Esche windet, grün. Bald wird es welk sein. «Jemand hat wohl das Gefühl, Efeu schade den Bäumen und greift eigenmächtig auf einem privaten Grundstück ein», sagt Pascale Akkerman. Beim Von-Rütte-Gut ist sie für die Ausführung des Parkpflegekonzepts zuständig. Es ist bereits das zweite Mal, dass sich die Stiftung mit dem Problem konfrontiert sieht.
Bei genauem Hinschauen fällt an einigen Bäumen abgestorbener, durchtrennter Efeu auf, bei dem die Schnittstelle vernarbt ist. Vor fünfeinhalb Jahren wurde er zersägt (das BT berichtete). Wie damals hat die Betriebsleitung auch jetzt Anzeige gegen unbekannt erstattet.
Wertvoller Sündenbock
Die Vorstellung, dass Efeu Bäumen schadet, ist weit verbreitet. In einer Studie von 2010, in der es um die Wirkung von Bäumen auf Efeu geht, listet Georg Wilhelm die Anklagepunkte gegen die 3 bis 15 Meter lange Kletterpflanze auf. Eine Auswahl: Efeu bohre seine Wurzeln in den bekletterten Baum und sauge ihn aus, er überwuchere die Krone und nehme ihm das Licht weg, Efeu erdrossle Bäume oder schwäche sie durch sein Gewicht und Efeu mache Bäumen Konkurrenz im Wurzelraum.
Diese Anschuldigungen widerlegt Wilhelm eine nach der anderen.

Eine einleuchtende Erklärung für die Unschädlichkeit der Kletterpflanze hat auch Oppliger parat: «Efeu ist grün und schlägt Wurzeln im Boden. Er macht also selber Photosynthese und bezieht seine Nährstoffe nicht vom Baum», sagt er. Efeu nehme den Bäumen nichts weg, diese dienten ihm einzig als Kletterhilfe, führt er weiter aus.

Dario Wegmüller, Revierförster des Unteren Seelands, entlastet den Angeklagten ebenfalls mit eingängigen Argumenten: «Efeu gibt es jetzt seit Jahrtausenden. Wenn er seinen Klettergerüsten schaden würde, gäbe es überall dort, wo er wächst, keine Bäume mehr.» Wegmüller merkt ausserdem an, dass Bäume über Abwehrmechanismen verfügen, um Schädlinge fernzuhalten. Gewisse Sekrete, die sie aussondern können, wären auch gegen Efeu wirksam, kommen jedoch nicht zum Einsatz.
Die Vorstellung, dass Efeu schädlich für Bäume sei, komme vielleicht aus dem Obstbau, sagt Wegmüller. «Obstbauern beschneiden die Bäume so, dass alle Früchte gleichzeitig reifen. Dadurch fällt mehr Sonnenlicht durch die Krone und der Wuchs des Efeus muss gebremst werden», erklärt er. Wenn Efeu in die Baumkrone, wo die Bäume Photosynthese betreiben, wächst, wird er tatsächlich zum Problem. Denn dort macht er dem Blätterwerk die Sonne streitig.
Grundsätzlich werfe aber die Baumkrone ausreichend Schatten, um das Wachstum zu hemmen, erklärt Wegmüller. Erst, wenn ein Baum bereits am Absterben sei, wachse der Efeu mitunter über den Stamm hinaus. «Möglicherweise ziehen manche daraus den Schluss, dass der Efeu den Baum getötet habe», sagt er. Würde Efeu den Baum, der ihm als Klettergerüst dient, töten, schadete er sich selbst – denn Efeu stirbt in der Regel mit dem Baum.
Keine anderen Fälle bekannt
Der Efeu ist also kein Schädling. Vielmehr biete er einen wertvollen Lebensraum, so Wegmüller. Da das Holzgewächs spät im Jahr blüht, ist es eine wichtige Nahrungsquelle für Insekten im Spätherbst. Als eine der ersten Pflanzen im Jahr trägt der Efeu zwischen Februar und April Beeren, an denen sich Vögel bedienen.

Blüten und Früchte bildet er jedoch erst ab einem Alter von acht bis zehn Jahren aus. Alte Pflanzen, die ein dichtes Geflecht bilden, bieten überdies gute Nistmöglichkeiten für Vögel. Deshalb ist es besonders bedauerlich, wenn dicke Stränge geschnitten werden. Wilhelm schreibt in seiner Studie, dass das Entfernen von Efeu sogar dazu führen könne, dass der freigelegte Baumstamm an Sonnenbrand erkrankt.
Obschon die Unschädlichkeit des Efeus allgemein bekannt sei, komme es ab und zu vor, dass ihn jemand schneidet, sagt Wegmüller – etwa Eigentümer von kleineren Privatwäldern. «Auch manche Gärtner raten ihren Kundinnen und Kunden immer noch, den Efeu zu entfernen», so der Revierförster.
Waldbesucherinnen und Parkbesuchern ist dies grundsätzlich verboten, zumal es sich bei Wäldern und Parks um privates Eigentum handelt (siehe Zweittext). Bei den eigenmächtigen Eingriffen in das Efeuwachstum im Park des Von-Rütte-Guts scheint es sich um ein lokales Problem zu handeln.
Eine Umfrage bei den umliegenden Gemeinden fällt negativ aus – und somit positiv für den Efeu. Der Gemeindeverwalterin von Sutz-Lattrigen sind jedenfalls keine weiteren Fälle von abgeschnittenen Efeuranken bekannt. Auch in Mörigen, Ipsach und Nidau wurde nichts gemeldet, ebenso bei der Stadtgärtnerei Biel.
«Ein Park ist kein Robinson-Spielplatz»
Im Park des Von-Rütte-Guts in Sutz-Lattrigen hat eine unbekannte Person Efeuranken durchtrennt (siehe Haupttext). Das ist illegal und die Betriebsleitung hat Anzeige gegen Unbekannt erstattet. Es ist indes nicht der einzige Eingriff in die Flora durch Parkbesucherinnen oder -besucher.
Entlang der Wege fallen abgeknickte Haselstängel auf. Beat Oppliger, der beim Von-Rütte-Gut für die Parkpflege zuständig ist, geht davon aus, dass Stecken für Grilladen geschnitten oder abgeknickt wurden, wahrscheinlich auch von Kindern. «Wir haben hier keine Selbstbedienung», sagt Oppliger, der einmal pro Woche im Park zum Rechten schaut und immer wieder «Holzrugel» und andere Dinge aus dem Teich fischt, in den sie von Parkbesuchern hineingeworfen wurden. «Es ist ein gepflegter Park, kein Robinson-Spielplatz», fügt er an.
Pascale Akkerman, die beim Von-Rütte-Gut für die Ausführung des Parkpflegekonzepts zuständig ist, führt aus, dass es sich um privates Eigentum handelt, das mit Lotterie-Fonds-Geldern fachgerecht gepflegt und unterhalten wird. «Wir achten auf die Prinzipien des Naturschutzes und der Gartendenkmalpflege», sagt sie.

Privateigentum sind nicht nur Parks; jeder Wald hat eine Besitzerin oder einen Besitzer. Je nach Kanton gehören unterschiedliche Anteile privaten und öffentlichen Waldeigentümern wie Gemeinden, Kantonen, Bund und Burgergemeinden. Im Kanton Bern sind es etwa 50 zu 50 Prozent.
Das Gesetz erlaubt das massvolle Sammeln von nicht geschützten Pflanzen, Pilzen, Früchten, Ästen, Zapfen oder Nüssen. Leseholz darf gesammelt werden, wie der Revierförster des Unteren Seelands, Dario Wegmüller, klarstellt. Man dürfe jedoch nicht nach Lust und Laune Grünzeug abschneiden. Er persönlich halte zwar niemanden davon ab, einen Haselstängel zu schneiden, um einen Cervelat zu braten.
«Aber der Wald wird rege genutzt, und wenn das alle machen, haben wir irgendwann keine Haseln mehr», gibt er zu bedenken. Seit dem Lockdown vor einem Jahr seien noch einmal mehr Leute im Wald unterwegs. Da sei allerlei los: «Letzten Frühling wurden sogar Bäume umgelegt – wahrscheinlich von einer Gruppe Leute, die Dampf ablassen mussten», sagt Wegmüller.
Die einzige Möglichkeit, solchem Treiben entgegenzuwirken, ist seiner Meinung nach Aufklärung: Er versuche, die Leute zu sensibilisieren, und erkläre ihnen beispielsweise, dass der Hasel wichtig für die Haselmaus ist.