Sie haben am Bernisch-Kantonalen Jodlerfest Knöpfe angenäht, genau hingehört, ob die Tonhöhe stimmt, und alleine vor allen Alphorn gespielt.
Traktoren so gross wie ein Elefant oder so klein wie ein Esel tuckern durch Ins. Fahnen wirbeln durch die Luft, Blasmusik tönt über den Platz. Fenchel, Rüebli und Salat stapeln sich sorgfältig angeordnet auf Anhängern. Mal riecht es nach Benzin, mal nach Pferdemist. Es ist der Umzug zum Abschluss des Bernisch-Kantonalen Jodlerfests in Ins.

Ein Tag zuvor, am Morgen gegen zehn Uhr, ist das grosse Zelt auf dem Dorfplatz noch leer, auf den Festbänken sitzt niemand. Erste Besucherinnen und Besucher schlendern die Strasse hinauf. Obschon es um diese Zeit noch angenehm kühl ist, gehen sie auf der Schattenseite.
Fast jeder zweite Frauenfuss steckt in einem schwarzen Schuh mit Schnalle. Dazu die weissen Strümpfe, Schürze, Samtmieder und Broschen. Sind die Haare nicht kurz geschnitten, sind sie kunstvoll hochgesteckt oder zu Zöpfen geflochten. Denn sie dürfen das sogenannte Göller, das Achselstück, nicht berühren.


Sie rettet Trachten-Notfälle
Es gibt auch sonst viele Dinge, die die Frauen berücksichtigen müssen, damit sie die Tracht richtig tragen. Am Bernisch-Kantonalen Jodlerfest sollen die Vortragenden eine korrekte Tracht tragen – so will es das Reglement.

Nun kann es aber sein, dass sich der Schuh der Alphornbläserin im Jupe verhängt, die Naht aufreisst, und dann der Saum herunterhängt. Oder plötzlich fehlt dem Mutz, der Jacke des Tenors, ein Knopf. Für solche Notfälle ist die Trachtenberatungskommission des Kantons Bern hier. Zuständig für das Seeland ist die diplomierte Trachtenschneiderin Karin Brunner.

Karin Brunner erzählt, wie sich am Freitag bei einer jungen Frau vor dem Auftritt der ganze Silberschmuck von der Berner Sonntagstracht gelöst hat. «Keine Ahnung, mit was für einem dünnen Faden, das befestigt war.» Ihre Kollegin habe alles ganz schnell wieder angenäht.

Brunner selbst trägt eine Werktagstracht, also eine Tracht ohne Samt oder Seide. Und sie steht sehr gerade. Es ist das Mieder, das den Rücken aufrichtet. «Wenn man die Tracht am Abend auszieht, fällt man etwas in sich zusammen», sagt Brunner.
Die Trachtenschneiderin hat ihr Atelier in Kappelen. Vor dem Fest hatte sie alle Hände voll zu tun und vom Fest selbst kriegt sie nun wenig mit. «Ich kann keine Vorträge hören gehen, aber es ist sehr schön, die Leute in Tracht zu sehen und mit ihnen zu plaudern», sagt sie.
Ganz anders ergeht es Jury-Gesamtobfrau Kathrin Henkel aus Grenchen. Sie hat die Ohren voller Melodien und Harmonien.
Sie erkennt falsche Töne

Je drei Juroren bewerten die Wettvorträge der Jodler-Solisten und -Gruppen. Sie achten auf Tongebung, Aussprache, Harmonie, Rhythmik und Dynamik, auf den Takt und darauf, ob die Sängerinnen und Sänger die Notenwerte einhalten.
Dabei setzten die Juroren – allem Traditionsbewusstsein zum Trotz – auch einmal eine Klavier-App ein, mit der sie auf dem Handy die Töne anspielen und überprüfen, ob die Tonart stimmt. «Wir brauchen die moderne Technik schon», sagt Henkel und schmunzelt.
Der Weg zur Jurorin ist lang. Zuerst muss man sich zur Dirigentin ausbilden lassen. Es gibt einen Eingangstest und die Ausbildung dauert zwei Jahre. «Dann beobachtet man, wie die Dirigenten an den Festen unterwegs sind», erklärt Henkel. Die Dirigentinnen müssen sich beweisen. Falle auf, dass jemand gute Klassierungen bekomme, frage man denjenigen, ob er Interesse an der Jurorenausbildung hat.
Während bei den Fahnenschwingern erst vereinzelt Frauen mitmachen, gibt es bei den Jodlern in den letzten 20 Jahren immer mehr Dirigentinnen. Henkel erzählt, dass am letzten Juroren-Kurs ausschliesslich Frauen ausgebildet wurden.
Sie selbst ist mit 16 Jahren zum Jodeln gekommen, weil sie für einen Bettlacher Jodler schwärmte. 1997 jurierte sie zum ersten Mal an einem Jodlerfest.
Seit 35 Jahren leitet sie den Jodlerklub Leuzigen. Mit ihm ist sie auch in Ins aufgetreten: «Wir haben eingesungen, vorgesungen – und dann bin ich in ein Wettlokal geeilt, um zu jurieren», sagt Henkel.
Am Freitag und am Samstag haben sie und ihr Gesamtobmann-Kollege, Remo Stadelmann, bis um Mitternacht Jury-Berichte gelesen, damit sie diese den Jodlerinnen und Jodlern Anfang Woche weitergeben können. Überrascht hätten die Juroren festgestellt, dass die Formationen, die teilgenommen haben, gleich gut «zwäg» sind wie vor der Pandemie. «Das heisst, dass sie sich seriös vorbereitet haben», so Henkel.

Was machen die da? (Klicken für die Antwort) ⬇︎
Die Mitglieder von Katrin Henkels Chor wärmen ihre Stimme auf. Lax Vox heisst die Methode, bei der man durch einen Schlauch in eine Wasserflasche bläst und dabei «uuu» singt. Laxus heisst auf lateinisch locker, entspannt; Vox die Stimme. Durch das Blubbern soll die Stimme lockerer und voller werden. Die Methode wird auch in der Logopädie eingesetzt.
Als Jurorin sei man schon eine Respektsperson. Vor der Jury singe niemand gleich frei wie bei einem Ständchen. Schliesslich sind die Jodlerinnen und Jodler keine Profimusiker, die sich den Auftritt gewöhnt sind. Die meisten Sängerinnen und Sänger aus Henkels Gruppe können keine Noten lesen.
In den Proben singt sie ihnen deshalb ihre Stimmen vor, bis sie diese kennen und manchmal gibt sie ihnen eine Aufnahme mit nach Hause, damit sie üben können. Aber: Man könne noch so gut geübt haben – «manchmal geht es beim Auftritt dann doch nicht so, wie man möchte».
Sie lässt die Luft vibrieren
«Man freut sich, man hat geübt, weiss, dass man das Stück kann», sagt Rita Mohler, die seit 14 Jahren Alphorn spielt und aus Schwarzenegg bei Steffisburg ans Jodlerfest angereist ist.

«Dann ist man auf einmal so nervös, dass es den Hals verschliesst, man einen trockenen Mund hat. Das Mundstück bleibt kleben und man kriegt keinen Ton mehr heraus.» Bei den Solos am Freitagabend mussten einige Alphornbläser abbrechen. «In diesem Moment würde man sich am liebsten irgendwo verkriechen und wünschte, man wäre nicht gekommen», sagt Rita Mohler.
Sie selbst konnte mit der Nervosität umgehen und hat ihr Solo bestritten. Dass sie seit fast 45 Jahren Trompete spielt und mit diesem Instrument viele Auftritte bestritt, helfe ihr. Als sie erstmals in ein Alphorn blies, habe sie auf Anhieb einen Ton herausgebracht – «dieser erdige, dieser tiefe, dieser holzige Klang!», sagt sie. Er hat sie nicht mehr losgelassen.

Vor dem Auftritt mit ihrer Gruppe Niesengruss heisst es neuerlich: «bödele». Sprich: Die Nervosität drosseln. Die acht Männer und zwei Frauen hieven ihre Alphörner über die Schulter und gehen los, an der reformierten Kirche vorbei und aus dem Dorf hinaus, wo sie sich zwischen Kirschen- und Nussbaum einspielen.
Unter dem Blätterdach sitzen die Zuhörerinnen und Zuhörer, wohl froh, dass im Schatten der Schweiss unter der Tracht weniger läuft. Im Rücken der Musikerinnen und Musiker sitzt die Jury. «Man probiert sie auszublenden», sagt Mohler. Dann erklingen die ersten Töne. «Man fokussiert sich auf das Stück und die Nervosität ist weg.»
Nach dem Auftritt steht Rita Mohler da, die Hände unter dem Schurz, wie es sich für eine Frau gehört, wenn sie Tracht trägt. Das Tattoo an ihrem Arm hätte sie vor einigen Jahren noch abdecken müssen. Heute sei man da toleranter, sagt sie. Ja, sie sei ehrgeizig: «Man weiss, wer sehr gut ist und möchte auch so gut sein.»
Nach zwei Jahren Pandemie stehe aber die Klassierung an zweiter Stelle. «Dieses Mal war es einfach endlich wieder ein Jodlerfest, endlich konnte man wieder dabei sein und die Leute wieder sehen.»
