Ein Helikopter der Rega in der Luft während der Übung

Bei der Rega-Übung auf der Hasenmatt mussten die Retterinnen auch einmal eine Simulationsperson liegen lassen, um sich zuerst einen Überblick zu verschaffen.

Erschienen am 13.04.2023 im «Bieler Tagblatt»

In der Kalksteinwand oberhalb von Selzach leuchten zwei rote Flecken: ein Mensch und ein verschnürter Sack. Ein roter Helikopter kommt angeflogen, die Propeller zerschneiden die Luft in Scheiben.

Über der Felswand wird ein Windenhaken heruntergelassen. Die rot gekleidete Person streckt den Arm aus, doch ein Windstoss weht die Winde weg. Der Haken schlenkert durch die Luft. Der Helikopter fliegt etwas zur Seite und wieder schwenkt die Winde aus. Es vergehen für den Zuschauenden einige unglaublich lange Momente, bis die Retterin den Haken erwischt und sich und die Bahre einhängt. Kurz darauf schweben sie davon.

Im Himmel hangen Notärztin und Figurant und werden von der Winde hochgezogen.
Copyright: Jonas Scheck / «Bieler Tagblatt»

Zusammengekommen, um zu üben

Es macht ungeduldig, dabei zuzusehen, wie der Haken an der Retterin vorbeifliegt, während der Helikopterpilot mehrere Anläufe nimmt. Dabei geschieht das alles innerhalb von Minuten während dieses Trainings der Schweizerischen Rettungsflugwacht Rega auf der Hasenmatt.

Die Rega holt die Figuranten im Hintergrund ist die Felswand zu sehen.
Copyright: Jonas Scheck / «Bieler Tagblatt»

2022 hat die Rega fast 21 000 Einsätze durchgeführt, 16 256 davon mit einem Helikopter. 

In Grenchen trainieren diese Woche 25 Menschen aus verschiedenen Rettungsorganisationen für den Ernstfall. Seit zweieinhalb Jahren gibt es auf dem Regionalflugplatz Grenchen einen Rega-Trainingsstützpunkt.

Der Helikopter wird auf den Platz beim Grenchner Flughafen gerollt.
Der Helikopter wird für die Übung aus dem Hangar in Grenchen geholt.
Copyright: Jonas Scheck / «Bieler Tagblatt»

Rettungssanitäter, Bergretter, Notärzte und Piloten der Rega üben das Zusammenspiel. Zurzeit sind Teams aus Basel, St. Gallen, Zürich, Lausanne, Sion und Bern hier.

Gestern sind sie den steilen Waldweg auf die Hasenmatt hochgefahren, um Simulationspatientinnen und -patienten zu bergen.

Wind ist vor allem am Boden ein Problem

Im Osten gruppieren sich einige Kalksteinpfeiler, gegen Süden geht die Sicht über die Alte Aare hinweg und weiter zu den Alpen. Es windet so stark, dass die Druckwelle gar nicht wahrnehmbar ist, als der Helikopter abhebt, um die Patienten für die Simulation in der Felswand abzusetzen.

Rega-Pilot Ulrich Burkhalter misst Windspitzen bis 65 Knoten – 120 Kilometer pro Stunde. «Unter diesen Bedingungen ist es extrem anspruchsvoll, eine Winde zu den Rettern zu bringen», sagt Burkhalter.

Ist der Helikopter in der Luft, sei starker Wind kein grosses Problem. Doch starten und abstellen dürfe man ihn nicht, wenn der Wind mit mehr als 50 Knoten über die Felder fegt. Denn dann könnten Windstösse die langsam drehenden Propeller hinunterdrücken und das Heck einschlagen. Ein weiteres Problem ist Eis: Während Linienflieger ihre Flügel beheizen, gibt es für den Airbus H145 der Rega noch kein solches System. Und gefrieren Zellen und Rotorblätter, verändert sich die Aerodynamik des Helikopters – so, dass es gefährlich würde.

Burkhalter erklärt, worauf ein Pilot achten muss, wenn er sich entscheidet, ob er an der Unfallstelle landen kann oder ob er besser eine Winde ablässt: auf Äste und lose Holzscheite oder Ziegel, die herumfliegen könnten, wenn der Luftsog der Rotorblätter zu nahe kommt. Oft sei eine Landung trotzdem die beste Option, da schneller und einfacher.

Wanderern bricht Weg weg

Doch an diesem Übungstag geht es darum, den Umgang mit der Winde zu perfektionieren. Und darum, die Zusammenarbeit mit der Bergrettung des Schweizer Alpen-Clubs SAC zu trainieren. Denn in bergigem Gelände braucht es Helfer, die wissen, wie man Seile spannt und Menschen sichert.

Die Männer in den orangen Anzügen sind Rettungsspezialisten des Schweizer Alpen-Clubs SAC.
Copyright: Jonas Scheck / «Bieler Tagblatt»
In steilem Gelände braucht es für die Rettung Flaschenzüge und andere Seilmanöver.
Copyright: Jonas Scheck / «Bieler Tagblatt»

Nebst den verunfallten Felskletterern müssen die Retterinnen und Retter noch vier weitere Personen bergen.

Das Szenarium: Vier Wanderern ist in steilem Gelände der Weg unter den Füssen weggebrochen und hat sie mitgerissen. Eine Frau hat eine Gehirnerschütterung, eine zweite, die im vierten Monat schwanger ist, kommt mit leichten Schürfverletzungen davon. Dann liegt da, eingeklemmt unter einem Ast, ein Mann. Sein Unterschenkel ist gebrochen. Weiter oben am Hang wurde ein zweiter Mann von einem Baum beim Fall gebremst. Gebrochenes Becken, Schlag auf den Brustkorb – Thoraxprellung im Medizinjargon – und offene Fraktur am rechten Unterschenkel. Bei ihm muss die Blutung gestillt werden, sonst droht der hämorrhagische Schock, wie Notarzt Christoph Schmittinger erklärt. Das heisst, der Mann droht zu verbluten.

Eine Notärztin kümmert sich im stelen Gelände um einen Verletzten.
Copyright: Jonas Scheck / «Bieler Tagblatt»

Die Verletzten liegen an einem steilen Hang, wo Laub und Erde unter den Füssen wegrutschen. «Ein solches Gelände bindet viele Einsatzkräfte», sagt Schmittinger. Als Erstes wird eine Notärztin vom Helikopter heruntergelassen.

Für das Einsatzteam, das zuerst vor Ort ist, bestehe die Schwierigkeit darin, sich eine Übersicht zu verschaffen. Sobald es mehr als zwei Verletzte gebe, sei das herausfordernd, so der Notarzt. «Man darf nicht beim ersten Verletzten hängen bleiben, sondern soll nur überlebenswichtige Massnahmen treffen und muss dann weitergehen und ihn vorerst liegen lassen.»

Richtig entscheiden im Unfallgeschehen

Für Retterinnen und Retter ist das schwierig: Sie müssen die Lage beurteilen und der Einsatzzentrale melden, wie viele Ärzte und Rettungsfahrzeuge gebraucht werden. Sie müssen einen Einsatzleiter bestimmen, der fortan sagt, was zu tun ist. Dann müssen sie die Patientinnen und Patienten so schnell wie möglich bergen und aus gefährlichen Situationen herausbringen. Sie müssen starke Blutungen stoppen, blockierte Atemwege freilegen und darauf achten, dass sie sich dabei selbst nicht gefährden. 

Auf der Hasenmatt haben die Retterinnen derweil das offene Bein abgebunden und die unverletzten Frauen an einem Ort versammelt, um danach die beiden Verletzten zu bergen. Sie sichern sich und den Mann, der vom Baum gestoppt wurde, mit Seilen und verfrachten ihn auf eine Bahre. Damit sie ihn von der Böschung weg auf die Lichtung bringen können, müssen sie ihn unter einem Stacheldrahtzaun hindurchschieben. Es riecht nach Bärlauch, als einige der jungen Pflänzchen umgeknickt werden.

Dann steht die Notärztin hin und formt ein Y. Wie «yes», wir brauchen Hilfe. Hoch in der Luft verliert der Pilot die Sicht auf die Lichtung unter ihm. Der Windenoperateur dirigiert ihn und lässt die Rettungswinde hinunter. Und die Retterin erwischt den Haken auf Anhieb.

Copyright Bilder: Jonas Scheck / «Bieler Tagblatt»
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