Erschienen am 04.02.2023 im «Bieler Tagblatt»

Die Schweizerinnen und Schweizer gehören weltweit zu den grössten Plastiksündern. Jedes Jahr verbrauchen wir pro Kopf rund 125 Kilogramm Kunststoff – ein Produkt aus einem fossilen Energiestoff, das sich durch seine Langlebigkeit auszeichnet. Da sind die Bilder von den Plastikstränden, die Schlagzeilen vom Mikroplastik im Boden. Allen ist klar: Plastik ist ein Problem.

Eine Lösung scheint das Recycling zu bieten. Grundsätzlich würde es Sinn machen, wenn das Erdöl und die Energie, die in einen Joghurtbecher gesteckt wurden, dem Kreislauf erhalten blieben – wenn der Becher geschreddert, geschmolzen und zu Granulat verarbeitet würde und aus dem wiederum Blumentöpfe entstehen.

Doch die Ökobilanz der Aktion ist fragwürdig. Denn das Recycling von Haushaltskunststoff lässt sich keineswegs mit dem PET-Recycling vergleichen. PET besteht aus einer einzigen Plastiksorte, die man einschmelzen und wiederverwerten kann. Unser Verpackungsmaterial hingegen ist eine wilde Mischung aus verschiedensten Molekülketten. Man überlege sich nur einmal, wie unterschiedlich die Eigenschaften einer Frischhaltefolie und einer Sonnenblumenöl-Flasche sind.

Die Folge: Lediglich rund 65 Prozent des Plastiks, das die Müllabfuhr in Biel und Nidau einsammelt, kann wiederverwendet werden. Der Rest dient als Brennstoff in einer Zementanlage. Obschon damit der recycelte Anteil über dem Schweizer Durchschnitt liegt, ist das keine sonderlich gute Bilanz.

Wenn der zuständige Gemeinderat und die Gemeinderätin von Nidau und Biel erklären, dass das Plastik in der Zementfabrik Kohle ersetzt und somit dort die Ökobilanz verbessert, so mögen ihre Argumente noch nicht einmal sie selber überzeugen. Schliesslich geben sie zu, dass man das Projekt «nicht grüner machen» sollte, als es ist. Ihr Fazit fällt – so scheint es – vor allem deshalb positiv aus, weil die Bevölkerung gut mitmacht.

Was den ökonomischen Aspekt anbelangt, gibt es keinen Zweifel: Es rentiert nicht. In Biel ist die Sammlung noch nicht einmal kostendeckend.

Doch rentiert sie in ökologischer Hinsicht? 2017 haben Kantone, Verbände und das Bundesamt für Umwelt (Bafu) eine Studie dazu in Auftrag gegeben. Das Fazit fällt ernüchternd aus: Wer ein Jahr lang Plastik sammelt, spart gerade mal so viel Emissionen ein, wie wenn er auf eine Autofahrt von 30 Kilometern verzichten würde. Das ist die Strecke Biel–Bern. 

Nun kann man argumentieren, dass es Städte braucht, die vorpreschen, damit die Infrastrukturen für das Plastikrecycling geschaffen werden. Aktuell muss das in Biel gesammelte Plastik noch in Österreich sortiert werden, da bei uns die nötige Anlage fehlt. Noch in diesem Jahr will die Dachorganisation Swiss Recycling ein einheitliches System einführen und eine Sortieranlage in der Schweiz in Betrieb nehmen. Doch auch wenn der Haushaltskunststoff bald keinen Umweg mehr nehmen muss, ist das Ergebnis nicht berauschend.

Bleibt die Frage, ob die Bevölkerung durch ein solches Projekt sensibilisiert und dazu animiert wird, weniger Plastikabfall zu generieren. Die zuständige Gemeinderätin in Biel, Lena Frank (Grüne), sagte schon zum Start des Pilotprojekts, dass es letztlich darum gehe, ganz auf Plastik zu verzichten und die Sammlung einzustellen. Sie selber sei erschrocken, als sie gesehen habe, wie gross der Anteil an Plastik in ihrem Müll ist.

Fraglich ist jedoch, ob die Mehrheit der Plastiksammlerinnen auch so denkt und in der Konsequenz darauf achtet, weniger Einwegplastik zu kaufen. Oder aber, ob man sich guten Gewissens denkt: Ja, es ist viel, aber kein Problem – es wird ja rezykliert. Eher auf Letzteres schliessen lässt die Aussage von Gemeinderat Egger (SP), manche Nidauer wünschten, die Kunststoffsammelsäcke würden mehr als einmal im Monat abgeholt.

Spülen die Nidauerinnen den Joghurtbecher, bevor sie ihn in den Sammelsack werfen? Mit warmem Wasser? – Die Ökobilanz von Plastikrecycling ist kompliziert.
Copyright: Peter Samuel Jaggi / «Bieler Tagblatt»

Plastik einzusammeln, nur weil die Leute so gut mitmachen, ergibt wenig Sinn. Selbst ein Verzicht auf Kunststoff ist nur ein kleiner Beitrag: Es bringt herzlich wenig, das Steak ohne Plastikverpackung zu kaufen, denn ökologisch gesehen ist das Steak das Problem, nicht das Plastik.

Wer also möglichst wenig Fleisch isst, wenig fliegt oder regelmässig mit dem Zug statt dem Auto von Biel nach Bern fährt, hat mehr Anlass, sich auf die Schulter zu klopfen als die Plastikrecyclerinnen und -recycler.

DAS WICHTIGSTE IN KÜRZE
Seit Juni 2021 läuft in Biel und Nidau das Pilotprojekt Haushalt-Kunststoff-Sammlung. Einmal pro Monat können die Einwohnerinnen und Einwohner der beiden Städte ihren Plastikabfall in einem Sammelsack vor die Türe stellen. Dieser wird von der Müllabfuhr abgeholt, zur Firma Sortec in Aarberg gebracht und von dort ins österreichische Vorarlberg gefahren, wo der Kunststoff sortiert wird. Zwischen 60 und 65 Prozent des Materials kann rezykliert und zu neuen Produkten verarbeitet werden. Der Rest dient in Zementfabriken als Brennstoff. Im Recycling ersetzte der gesammelte Kunststoff der Stadt Nidau im letzten Jahr 7610 Kilogramm Material. Für die Herstellung dieses Materials hätten sonst 22 830 Liter Erdöl verwendet werden müssen. Das Pilotprojekt läuft noch bis Ende Mai. Aktuell ist die Sammlung nicht kostendeckend. Die zuständigen Gemeinderäte von Nidau und Biel, Tobias Egger (SP) und Lena Frank (Grüne), ziehen dennoch eine positive Bilanz. Auch wenn der ökologische Nutzen nicht besonders gross ist, sei dies ein Beitrag und die Sensibilisierung wertvoll. Die Bevölkerung zeige durch die rege Beteiligung, dass die Plastiksammlung ein Bedürfnis ist. Sicher ist schon jetzt, dass sie Ende Mai nicht eingestellt wird.

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